Warum unser Test ein “Multifaktorieller Test“ genannt wird

Dmitri Lytov, Marianna Lytova,
April 2006, St. Petersburg.
Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Reinhard Landwehr,

Unser Test ist ein multifaktorielles Instrument. Was bedeutet das?

Stellen Sie sich ein Auto vor: Es besteht aus zahlreichen unterschiedlichen Komponenten, und diese lassen sich in eine weitaus größere Zahl von Teilen zerlegen. Kann man damit fahren, wenn alle diese Einzelteilen vorhanden sind? Natürlich nicht. Es wird nicht starten, auch wenn alle Teile montiert sind und der Tank gefüllt ist, falls die Zündung nicht eingeschaltet ist.

Oder ein anderes Beispiel: Betrachten wir den Menschen. Ein Pathologe mag zwar alle seine Körperteile kennen, aber die sezierten Teile einer Leiche sind etwas anderes als ein lebendiger Organismus.

Wenn wir die menschliche Psyche analysieren, ist es genau so: wir können einzelne Faktoren trennen, um sie genauer zu studieren. Jedoch sollten wir dabei nie vergessen, dass in der Realität diese Faktoren zusammenwirken, sich überlagern, sich gegenseitig verzerren und sich ständig verändern. Einige wandeln sich sehr langsam im Laufe von Jahren oder sogar Jahrzehnten, andere hingegen von Minute zu Minute. Wieder andere können unbeständig sein, indem sie über einen langen Zeitraum hinweg gleich blieben, bis sie sich eines Tages unter dem Einfluss eines stärkeren Faktors ändern.

Wie verhält es sich in diesem Zusammenhang mit den jungschen Typen? Die Dichotomien, die etwas anders verstanden werden als in der Myers-Briggs-Typologie und anderen post-jungschen Typologien, sind nur tote Teile eines lebenden Körpers. Es kommt sehr häufig vor, dass ein unerfahrener „Typologe“, der einige populärwissenschaftliche Bücher gelesen hat (etwa von Kroeger/Thuesen, Tiegers etc, die eigentlich gar nicht schlecht sind), andere Menschen typisieren möchte. Die einfachen Fragen und Tabellen, die man in diesen Büchern findet, führen dann leicht zu Verzerrungen, was auf die unterschiedliche Bildung, Erfahrung, Wertvorstellung etc. zurückzuführen ist. Ein Beispiel kann diese Behauptung veranschaulichen. Wir haben festgestellt, dass Amerikaner mit einem höheren Bildungsniveau dazu tendieren, N zu sein, während Personen mit niedrigerem sozialen Status sich eher für S halten; ja, Leser von Büchern, die aus dem Umkreis des MBTI-Ansatzes stammen,  sind oft davon überzeugt, dass Sensoriker keine guten Manager und Leitern sein können, weil das für sie einfach unmöglich ist. Wenn man ein J ist, wird das positiv gesehen (Eine entschlussfreudige Person? Ein Sieger? Das bin ich!), während P negativ erscheint.

Sehr oft werden die Fragen recht vage formuliert, indem sie auf zweifelhaften Annahmen beruhen und/oder viele Interpretationsmöglichkeiten erlauben (So unterscheidet Keirsey beispielsweise nicht zwischen „was ich bin“ und „was ich sein möchte“. Nach seinem Fragebogen ist das ein und dasselbe.)

Wie steht es mit den jungschen Funktionen? Sie haben etwas mehr „Leben“ als die Dichotomien. Myers und Briggs akzeptieren jedoch die ursprüngliche Beschreibung der Funktionen bei Jung, die für ihn „so sind“, was schließlich zu Widersprüchen in ihrer Typologie führte. Die Sozionik hingegen veränderte die Beschreibung der Funktionen geringfügig, um zu logischer Konsistenz zu gelangen. (Wenn wir so beispielsweise von introvertierten Funktionen sprechen, manifestiert sich die Introversion in allen introvertierten Funktionen ähnlich.)

Jedoch sind die Dichotomien und Funktionen sezierte Teile einer ganzheitlichen lebendigen Psyche. Wenn wir von S- oder N-Typen, von dominanten Se- oder Si-Funktionen sprechen, vergessen wir, dass jede individuelle Psyche alle acht Funktionen umfasst, eine von ihnen ist die stärkste, andere sind schwächer, einige werden von stärkeren Funktionen überlagert, und andere sind instabil und/oder durch Lernprozesse veränderbar. Ebenso besitzen Personen, bei denen T die stärkste Funktion ist, Gefühle und Emotionen, wahrscheinlich weniger aktiv und/oder entwickelt als bei F-Typen, aber sie haben diese Gefühle durchaus. Dasselbe gilt entsprechend auch für die übrigen drei Dichotomien.

Wenn wir von der dominanten Funktion sprechen oder von einer Präferenz für einen bestimmten Pol einer Dichotomie (z.B. S eher als N), meinen wir damit, dass die Stärke - falls dieser Begriff angemessen ist -  der dominanten Ausprägung größer ist als der durchschnittliche Wert für eine Gesamtpopulation (oder zumindest für die betrachtete soziale Gruppe).

Stellen Sie sich vor, wir würden S und N für alle Menschen auf der Erde messen, mit welcher Methode auch immer! Wir würden dann als Sensoriker alle die bezeichnen, deren S größer  als der Durchschnitt ist, und als Intuitive alle die, deren N-Wert über dem Durchschnitt liegt. (Dabei unterstellen wir einmal, dass S und N sich gegenseitig ausschließende Faktoren sind, obwohl das bisher von keinem Typologen nachgewiesen wurde.)

Das bedeutet, dass wir Typen und Funktionen nur mit Begriffen der Statistik und mathematischen Wahrscheinlichkeit erfassen können.

Und hier ist genau die Stelle, an der unser Test arbeitet. Anfangs hatten wir nur Hypothesen über die Korrelationen zwischen unseren Testfragen und sozionischen Faktoren (Dichotomien, Funktionen etc.). Der Test stellte ein mathematische Programm für ein Selbst-Training dar. Wir „trainierten“ unseren Test mit Hilfe einer Gruppe von mehr als hundert Personen, deren Typ wir „sicher“ kannten, d.h. bestätigt von ihnen selbst, anderen Sozionikern und uns selbst. Der Test analysierte ihre Antworten und ermittelte daraus verschiedene Faktoren. Wir konnten beispielsweise Fragen extrahieren, die für T/F verantwortlich sind. Dabei hat jede Fragen ihren Koeffizienten und ihre Streuung; die Fragen sind also im Hinblick auf den Grad, mit dem sie T/F determinieren, keineswegs gleich.

In derselben Weise erfassten wir die jungschen Funktionen, und zwar entsprechend der sozionischen Theorie die dominante und die Hilfsfunktion getrennt, andere hypothetische  Faktoren sowie schließlich die Korrelationen zwischen den Fragen und den Typen als integralen Einheiten.

Diesen letzten Satz müssen wir erklären. Es gab beispielsweise Fragen, die stärker für T als F, für Te als Ti usw. typisch waren. Und unter den acht T-Typen antworteten einige Typen auf diese Fragen häufiger mit „ja“ als andere. Es kam auch oft vor, dass Fragen stärker mit einer Gruppe von Faktoren korrelierten als mit einem einzelnen Faktor. So konnte man etwa eine Frage eher als eine EF-Frage einordnen als entweder eine „reine“ E- oder F-Frage.

Wir wollen die genauen Mechanismen unseres Tests nicht offen legen – das ist nun einmal unser Know-how. Wir hoffen jedoch, dass wir ihnen dabei helfen konnten, seine Funktionsweise zu verstehen. Falls Sie noch weitere Fragen haben, zögern Sie nicht, sie uns zu stellen. Wir werden Ihnen gern antworten.