DAS TESTEN IN DER SOZIONIK
Zwei auf der 20. Sozionischen Konferenz in Kiew gehaltene Vorträge

Dmitri Lytov, Marianna Lytova,
10 - 19. 09.2004, St Petersburg.

1. Das Testen als Methode zur Bestimmung des sozionischen Typs.

Sehr geehrte Kollegen!

In der 4. Nummer der Kiewer Zeitschrift “Sozionik, Mentologie und Persönlichkeits­psychologie” wurde soeben der erste Teil unseres Artikels über unseren Multifaktoriellen Test veröffentlicht. Wenn Sie konkrete Einzelfragen zu diesem Vortrag haben, so richten Sie sie bitte an diesen Artikel.

Unser Vortrag ist nicht nur dem Multifaktoriellen Test gewidmet, sondern dem Testen im allgemeinem als einem Mittel zur Bestimmung des sozionischen Typs. In diesem Vortrag werden sowohl Vor- als auch Nachteile dieser Methode betrachtet.

Bisher glauben viele Sozioniker, dass das Testen kaum die Exaktheit der beiden anderen Methoden, und zwar dem Interview und der Beobachtung, erreichen kann. Darum wollen wir zunächst prüfen, ob die Methoden von Interview und Beobachtung so exakt und fehlerlos sind, wie es häufig angenommen wird.

Der Nachteil Nr. 1 dieser beiden Methoden besteht darin, dass wir die Typenmerkmale nicht direkt beobachten. Wir sehen nur indirekte Äußerungen dieser Merkmale. Wenn wir z.B. einen Menschen beobachten und bei ihm eine vielfältige Mimik bemerken – so ist diese Mimik noch nicht das sozionische Merkmal „Ethik“, sondern es ist nur eine Äußerung, die sehr oft dem Merkmal „Ethik“ entspricht. Auch wenn wir einen Menschen mit guter Reaktion sehen, so ist diese gute Reaktion noch nicht das Merkmal „Empfinden“, sondern nur eine Äußerung, die sehr oft dem Merkmal „Empfinden“ entspricht. Dabei achten Sie bitte auf die Worte „sehr oft“. „Oft“ – heißt jedoch nicht immer. So können wir einen Logiker in einem Augenblick antreffen, wenn er gerade ungestüme Emotionen zeigt, obwohl er für gewöhnlich seiner Natur nach eine selbstbeherrschte Person ist. Und wir können auch einen Intuitiven treffen, der als Sportler seine Reaktionen sehr gut trainiert hat.

Um diesen unklaren, mehrdeutigen Begriff „sehr oft“ zu bewerten, braucht man die Statistik. Gerade die Statistik erlaubt uns zu bewerten und zu bemessen, wie einige Äußerungen eines Menschen die Eigenschaften seiner Psyche widerspiegeln.

Aber das menschliche Gehirn (und das gilt auch für das Gehirn eines sehr erfahrenen Experten) kann nur eine begrenzte Anzahl von Berechnungen gleichzeitig machen. Daher kennen die Psychologen die sogenannte Miller-Zahl: danach kann die Aufmerksamkeit eines durchschnittlichen Menschen nur gleichzeitig mit 7 +- 2 Begriffen operieren. Das bedeutet, dass wenn ein Experte mit einem Respondenten mündlich kommuniziert, und um so mehr wenn er ihn beobachtet, so muss er unvermeidlich das Beobachtete vereinfachen, um es in seinem Gedächtnis behalten zu können. Die Exaktheit der Typenbestimmung wird nur dann erhöht, wenn dieser Prozess zu Protokoll genommen oder mit einem Tonband aufgezeichnet wird, so dass der Experte später auch auf etwas zurückgreifen kann, was er während des Prozesses nicht bemerkt hatte.

Es gibt sogar noch eine weitere Begrenzung, die viel ernsthafter ist. Die menschliche Psyche ist - im Gegensatz zu den mehr und weniger strukturierten Theorien, die sie beschreiben - ein ganzheitliches Phänomen. Man kann nur künstlich verschiedene Merkmale absondern, einschließlich der sozionischen Merkmale wie Logik/Ethik, Intuieren/Empfinden usw., und auch die sogenannten Funktionen des Informationsaustauschs sind nur künstlich geschaffene Begriffe. Aber in den realen menschlichen Äußerungen sind alle diese Funtionen und Merkmale eng miteinander verflochten.

Erinnern Sie sich! Als Sie Ihre erste Bekanntschaft mit der Sozionik machten, als Sie zum ersten Mal die Beschreibungen der jungschen Merkmale, sozionischen Funktionen usw. lasen, konnten Sie oft bemerken, dass dieselben Worte, dieselben Begriffe, dieselben Situationen, in den Beschreibungen der verschiedenen Merkmale und Funktionen benutzt wurden. Zum Beispiel können wir eine Charakteristik als „Geselligkeit“ analysieren. Der berühmte englisch-deutsche Psychologe Eysenck hat es sich dabei sehr einfach gemacht: er hat bloß die Extraversion mit Geselligkeit gleichgesetzt. Aber in der Sozionik ist diese These nicht zu 100% wahr. Wir erinnern uns, dass die Ethiker durchschnittlich geselliger sind als die Logiker; darum sind die extravertierten Ethiker durchschnittlich geselliger als die extravertierten Logiker.

Oder betrachten wir eine andere Charakteristik, z.B. „Planmässigkeit“. Einerseits sind die rationalen Logiker viel planmäßiger als die rationalen Ethiker. Andrerseits ist die Planmäßigkeit überhaupt nicht immer nur durch die Rationalität verursacht. Man kann auch den Lebenskonservatismus etwa der Introvertierten für „Planmäßigkeit“ halten.

Tatsächlich ist die Mehrheit der Worte der menschlichen Sprache, die die individuellen Züge, Zustände, Charakteristiken, beschreiben, noch viel komplizierter als diese Beispiele zeigen, die wir angeführt haben. In den angeführten Wörtern sind viele Faktoren verflochten, auch nicht-sozionische.

Deswegen stößt der Experte bei der Bestimmung des sozionischen Typs durch die Beobachtungs- oder die Interview-Methode unvermeidlich auf die Schwierigkeit der eindeutigen Erläuterung solcher mehrdeutigen Charakteristiken. Natürlich darf man die Situation vereinfachen und annehmen, dass die „Geselligkeit“ immer der Extraversion entspricht und die „Planmäßigkeit“ nur der Rationalität (und z.B. nicht durch die Erziehung erlernt worden ist). Aber solche Vereinfachung führt auch unvermeidlich zur Verzerrung – einer Verzerrung, die man auch bei wiederholter Analyse kaum entdecken kann – Man hat eher die Prozedur der Typenbestimmung zu wiederholen.

Daher ist es nicht erstaunlich, dass verschiedene Sozioniker oft zu verschiedenen Ergebnissen bei der Bestimmung des Typs derselben Person gelangen. Das Problem besteht nicht darin, dass einige Sozioniker „richtigere“ Methoden haben als die anderen. Das Problem ist, dass man kaum über seinen Kopf springen kann ( Wortspiel: Man kann kaum etwas machen, was seine eigenen Möglichkeiten übertrifft ). Alles, was man beobachtet, beschreibt man mit den Worten der menschlichen Sprache, d.h. qualitativ. Immer muss man jedoch eine quantitative Bewertung machen.

Wie steht es aber mit den Tests? Leider fehlte es der Sozionik bisher an Tests.

„Wieso?“ werden Sie fragen. „Gibt es nicht den Test von Weisband? Den Test von Meged und Owtscharow? Den Test von Filatowa? Was ist mit den bekannten Tests von Keirsey und Myers-Briggs?“ (Obgleich die letzten zwei nicht sozionisch sind, können wir annehmen, dass der Unterschied zwischen der Sozionik und der amerikanischen Typologie sehr gering ist).

Alle diese Tests sind ganz annehmbar für das Niveau der Psychologie, wie es vor fünfzig-sechzig Jahren bestand. Aber in diesen Jahren waren auch die Forderungen an die Qualität von Tests viel niedriger, und das Zuverlässigkeitsniveau von 50-60% betrachtete man als ganz annehmbar. Heutzutage genügt ein solches Niveau nicht mehr. Darum bedeutet heute der Begriff „Test“ etwas anders als vor 50 Jahren.

Wodurch unterscheiden sich die populären sozionischen Fragebogen von den echten gegenwärtigen Tests?

Das Unterschied Nr. 1 besteht darin, dass der Test valide sein muss. Mit anderen Worten: man muss beweisen, dass der Test auch genau das misst, was der Autor messen wollte. Gerade hier gab es das Hauptproblem. Die Autoren nahmen bloss an, dass die Merkmale, wie sie einem Betrachter von außen erschienen, mit der Selbsteinschätzung des Respondenten gänzlich übereinstimmten .

Aber wir alle wissen, dass die Wahrheit ganz anders ist. Man hat viele Merkmale, die man selbst nicht beobachten kann – z.B. seine Ohren. Mit der Psyche ist alles sogar noch komplizierter. Mit anderen Worten: um die Fragen zu formulieren, die das Merkmal Logik/Ethik messen können, musste man zuerst die typische der Selbsteinschätzung der Personen ermitteln, die schon als Logiker oder Ethiker typisiert worden waren, anstatt diese Charakteristik mit Fragen zu beschreiben, wie sie aus der Sicht eines Beobachters erscheint. Man kann entweder nicht wissen, wie der Betreffende in den Augen verschiedener Beobachter aussieht (wobei sich die Meinungen der Beobachter auch unterscheiden können), oder ihm kann sein Aussehen unangenehm sein.

Dazu gibt es noch einen Fehler in den alten sozionischen Tests, den wir schon am Anfang unseres Vortrages erwähnt haben, und zwar ist in diesen Tests die Korrelation der Fragen mit den sozionischen Skalen künstlich simplifiziert. Man nimmt zur Vereinfachung für den Forscher an, dass eine Frage nur einem einzigen Merkmal entspricht. Es ist klar, warum. Die Leser eines populären Buches werden nicht mit einem Bleistift mathematische Formeln berechnen. Sie brauchen im Gegenteil eine möglichst einfache Berechnungsmethode. Andrerseits führt eine solche Vereinfachung genau dazu, was wir heute in der Sozionik haben: Diese Fragebogen bestimmen den Typ nicht zuverlässig (wovor auch die Autoren der Tests immer warnen), und die überwiegende Mehrheit der Sozioniker vertraut den Tests überhaupt nicht, obgleich das nicht die Schuld von Tests ist.

Ein echter Test ist von seiner Natur her eine strengstens formalisierte Methode der Bewertung von Beobachtungen. Auf diese Weise kann es verschiedene Tests geben: also nicht nur solche, die ein Respondent selbst ausfüllen soll, sondern auch für die Auswertung der Angaben, die durch Interviews oder Beobachtungen gesammelt wurden. Der Hauptvorteil von Tests besteht darin, dass diese Methode nicht von den Launen oder Schwächen des Forschers abhängt und es daher gleiche Ergebnisse bei einer Durchführung von beliebigen Forschern gibt.

Dabei muss der Test einen sehr streng bestimmte Anwendungsbereich haben. Der Verfasser des Tests muss klären, wie die Testergebnisse durch national-kulturelle Stereotypen, Geschlecht, Alter, Beruf der Respondenten u.a. beeinflusst werden.

Und erst wenn diese Forderungen erfüllt sind, kann der Test ein effektives Mittel der Typenbestimmung sein. Im Unterschied zu den Möglichkeiten von Beobachtungen kann man für Testdaten auch multifaktorielle Analysen durchführen. Das heisst, wenn ein Phänomen gleichzeitig mit mehreren sozionischen Faktoren verknüpft ist, so kann ein Experte entweder diese Vielfalt vereinfachen, oder – wenn er alle diese Faktoren in Betracht ziehen will – „verlangsamt“ sich die Auswertungsarbeit. In jedem Fall kann ein Rechner-Programm diese Berechnungen jedoch in einigen Sekunden erledigen.

Aber genauso wie ein Fernseher in den Händen eines Wilden eine schweigende Kiste bleiben kann, ist das multifaktorielle Testen nur potentiell effektiv. Um diese Methode tatsächlich effektiv zu machen, muss man den Test sorgfältig „entwickeln“.

Aber hier endet unser Vortrag, und es beginnen die Fragen an die Verfasser der multifaktorieller Testmethoden. Viele von uns kennen Victor Talanov, den Autor des ersten sozionischen multifaktoriellen Tests LOT, der später auch zwei andere MF-Tests erarbeitet hat. Was unseren Test betrifft, so werden Sie in unserem Artikel die wichtigsten Angaben finden, über die im Test benutzten Formeln, über das „Selbst-Lernen“ des Tests sowie über die Beschränkungen des Tests. Und bald wird auch die 5. Nummer der Zeitschrift mit dem Schlussteil unseres Artikels erscheinen. Darin werden Sie die wichtigsten Forschungsergebnisse finden, die wir mittels dieses Tests erhalten haben. Wir hoffen, dass die Lektüre für Sie sehr interessant sein wird.

Wir bedanken uns Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

2. Uber statisches und dynamisches Testen

Sehr geehrte Kollegen!

Lassen Sie uns über Statik und Dynamik sprechen! Nicht über das hypothetische Merkmal von Rejnin, sondern über diese Begriffe in ihrem ursprünglichen Sinn, wenn Statik für einen Satz von unwandelbaren Parametern steht und Dynamik einen Prozess der Veränderung dieser Parameter bedeutet.

Die menschliche Psyche und Persönlichkeit sind ganz und gar dynamisch . Von seinem Geburt an bis hin zu seinem Tod verändert sich ein Mensch in jeder Minute. Man erwirbt Kenntnisse, erlangt Fertigkeiten, kommuniziert, verleiht seinen Emotionen Ausdruck, merkt sich und vergisst Nachrichten, man wächst, wird alt und stirbt schließlich. Und bei alle dem interagiert man ständig mit anderen Menschen, ja, mit der ganzen Welt und sogar mit seinem eigenen Bewusstsein und Unterbewusstsein. Ein Persönlichkeitstyp ist nur etwas Durchschnittliches von allen diesen Erscheinungen. Man kann den sozionischen Typ als einen statischen Satz von Persönlichkeitszügen definieren, aber im Leben existiert ein solcher Satz gar nicht. Im Leben weicht man stetig von diesem Satz ab, bald nach der einen Seite, bald nach der anderen.

Aber die Psychologie ist noch eine sehr junge Wissenschaft, und ihre Werkzeuge kommen nicht immer mit der Entwicklung der psychologischen Gedanken zurecht. Kaum ist es möglich, einen Psychologen zu finden, der die dynamische Natur der Psyche bezweifelt. Denn diese Dynamik liegt ja auf der Hand! Aber vor einem Jahrhundert, ja, auch noch vor fünfzig Jahren waren die Werkzeuge der Psychologie im wesentlichen statisch. Psychische Erscheinungen wurden als Sätze, als Verzeichnisse von bestimmten Charakteristiken, betrachtet. Für die Beschreibung der Dynamik gab es noch keine passenden Mittel.

Die ersten psychologischen Tests waren daher statisch . Diesen Tests wurde eine Hypothese zugrunde gelegt, ein Satz von Charakteristiken, und die Ergebnisse des Tests wurden im Hinblick auf eine Übereinstimmung mit dieser Hypothese betrachtet. Wenn die Ergebnisse der Hypothese erheblich widersprachen, konnte sich die Reaktion des Testers in dreierlei Weise äußern:

1. „Es kann so nicht sein! Man hat den Test nicht aufmerksam ausgefüllt oder seinen Kern nicht begriffen.“

2. „Das ist nicht sein Typ, sondern eine „Maske“.“

3. „Der Test ist schlecht, man muss ihn überarbeiten.“

Wegen ihrer statischen Natur ließen sich solche Tests nicht in Abhängigkeit von der Zahl der Testpersonen verbessern. Ihre Entwicklung hing gänzlich vom Entwickler ab. Wäre der Entwickler ein ideales Wesen mit der Fähigkeit, alle 16 sozionischen Typen in allen ihren altersmäßigen, geschlechtlichen und kulturellen Aspekten zu verstehen und zu begreifen, so würde er einen idealen statischen Test schaffen können, ohne spätere Korrekturen zu benötigen. In der Realität ist jedoch natürlich alles nicht so ideal.

Sowohl der Test von Myers und Briggs als auch der von Keirsey sind ihrer Natur nach statisch , also auf eine Liste von konstanten Charakteristiken ausgerichtet. Nach ihrem Vorbild wurden auch die Fragebogen erstellt, die man in der populären sozionischen Literatur finden kann.

Das Schlimme daran ist, dass die statische Methode des Testens schon vor fünfzig Jahren veraltet ist. An die Stelle der statischen Testmethoden treten die dynamischen Tests. Natürlich ist die Mathematik dieser Tests komplizierter als die Berechnung einer Graden auf dem Niveau der 1. Klasse im Rechnen. Aber die dynamischen Tests sind erstens flexibler im Hinblick auf Veränderungen der Psyche von Respondenten, und zweitens können sie selbst mit einer anwachsenden Anzahl von Respondenten „lernen“.

Wie wurden diese beiden Probleme gelöst?

Um Ihnen zu erläutern, wie das „Selbstlernen“ eines dynamischen Tests verläuft, lassen Sie uns zuerst betrachten, wie ein unerfahrener Sozioniker seine Fähigkeiten in der Typenbestimmung entwickelt.

Am Anfang kennt er die vier jungschen Merkmale, vielleicht auch die acht Funktionen des Informationsaustauschs sowie die Beschreibungen von den 16 Typen (von jedem beliebigen Autor). Aber dies reicht nicht aus. Mit allen diesen Kenntnissen muss er sich konkrete, “vitale” Assoziationen bilden. Es ist für ihn nicht ausreichend, die Beschreibung eines sozionischen Typs gelesen zu haben, um diesen Typ im Leben zu identifizieren – er muss diesen Typ “in der Bewegung” sehen. Vielleicht muss ihm jemand mit dem Finger zeigen: „Sieh, das ist ein Mentor (der ethisch-intuitive Extravertierte)!“ Oder sogar kürzer: „Das ist ein Ethiker, und dort ist ein Logiker – siehst du den Unterschied?“ So erlernt man die Stereotypen. Dieser Prozess der Sammlung von Stereotypen ist lang und schmerzlich, besonders weil die Natur der jungschen Merkmale und Funktionen uns noch nicht bekannt ist – wir kennen nur deren Äußerungen. Und solange man Stereotype sammelt, können die Überlegungen heftige Sprünge machen. Z.B. wollte einer von unseren Bekannten den sozionischen Typ einer anderen Bekannten bestimmen (sie hieß z.B. Helene), und er schwankte zwischen den beiden Typen – ethisch-intuitive Extravertierte (Mentor) und sensorisch-logische Introvertierte (Meister). Wie konnte man diese zwei Typen verwechseln, obgleich sie sich in allen vier jungschen Merkmalen unterscheiden? Die Antwort ist einfach, wenn wir dem Verlauf der Überlegungen folgen. Der Bekannte dachte: „Ich kenne Dmitri und Alexander, die beide intuitiv-logische Extravertierte (Erfinder) sind; Helene ist Ihnen einerseits sehr ähnlich, aber andrerseits besitzt sie bestimmte Unterschiede gegenüber beiden; ich muss also die Natur dieser Unterschiede verstehen – ob es um das Merkmal Ethik geht oder Empfindung oder Rationalität oder Introversion“. Auf diese Weise wurde eine solche große Vielfalt möglich. Und wenn jemand von Ihnen prahlen sollte, dass er nie vor solch einem Problem stand – dann soll er den Stein bis nach St. Petersburg werfen, wo die Autoren dieses Vortrages wohnen.

Auch ein Test „lernt“, die Typen zu bestimmen, genauso wie ein lebender Sozioniker. Einem Test kann zwar überhaupt nichts über die Existenz der Typen oder der jungschen Merkmale oder der Funktionen “bewusst sein”, aber man kann für ihn 16 Bezugsgruppen schaffen und Formeln schreiben, mit deren Hilfe der Test die Antworten dieser Gruppen miteinander vergleichen wird.

Und wissen Sie, wie man die Fragen jedes beliebigen Tests beantwortet? Ja, natürlich – auf beliebige Weise . Trotzdem gibt es einige Gesetzmäßigkeiten in unseren Antworten. Wir alle wollen unsere positiven Züge hervorheben und die Schwächen verheimlichen. Auch hier kann es Besonderheiten geben. Z.B. kann man einige von seinen ganz positiven Zügen verheimlichen, um eine Überlastung dieser Fähigkeiten zu vermeiden. Man kann sich eine oder mehrere „Masken“ schaffen, um einige von seinen Schwächen zu verdecken.

Und der Test beginnt, während die Antworten der neuen Respondenten in die Datenbank eingehen, zu „lernen“ – je nachdem wie deutlich sich die Antworten auf jede Frage unterscheiden. Sogar wenn jede Frage als strengste Alternative aussieht – entweder „Ja“ oder „Nein“, ohne Halbtöne – werden wir dennoch bemerken, dass nicht nur die Durchschnittssumme der Grade für jede Frage unterschiedlich ist. Es unterscheidet sich auch die Streuung der Antworten für jede Frage. Eine zu große Streuung der Antworten auf eine bestimmte Frage kann bedeuten, dass entweder die Befragten nicht verstanden haben, was sie gefragt waren, oder diese Eigenschaft gar nicht streng mit einem der sozionischen Typen verknüpft ist. Dabei kann dieser Charakterzug für einen anderen Typ eine bedeutende Rolle spielen, und die Vertreter dieses Typs sind überzeugt: „Das gehört zu mir (oder: Das ist für mich ganz abscheulich)!“ Daher ist auch die Streuung der Antworten ein sehr wichtiger Koeffizient für die Berechnung der Typenzugehörigkeit.

Und jetzt sagen Sie bitte, ob eine Berechnung der Streuung von Antworten für einen statischen Test möglich ist? In welchem beliebigen von der statischen Tests – entweder im Test von Myers und Briggs mit mehr als 100 Fragen oder im Test von Meged und Owtscharow mit 4 Fragen? Können wir also z.B. berechnen, dass das Merkmal Empfindung/Intuition in 40% der Fälle falsch bestimmt worden ist, und welche Schlussfolgerungen können wir daraus ziehen? Und zudem stehen die statischen Tests ganz hilflos vor dem Problem verschiedener „Masken“. Wir können also sicher behaupten: wenn ein Sozioniker Anhänger der Theorie der „Masken“ ist (und gleichzeitig ein Gegner des Testens), so kennt er keine anderen Tests als die statischen. Denn diese Vorwürfe sind tatsächlich nur gegenüber den statischen Tests berechtigt.

Aber die statischen Tests sind schon das Gestern der Psychologie, wenn nicht das Vorgestern. Von einigen Sozionikern kann man hören, dass die Psychologie eine „humanitäre“ Disziplin ist und die Sozionik eine „exakte Wissenschaft“. Aber ist das tatsächlich so? In einem solchen sehr mathematischen Bereich wie dem Testen bleibt die Sozionik bisher hoffnungslos hinter der akademischen Psychologie zurück.

Die Zeit für diesen Vortrag neigt sich ihrem Ende, und daher müssen wie in diesen wenigen Minuten, die wir noch haben, ein so wichtiges Problem wie die Sättigung des Tests betrachten. Ein Test ist zunächst einmal „stumpf“, „dumm“ – er vergleicht 16 Gruppen von Personen mit einander, ohne ihre Natur zu kennen. Und daher gilt: Je weniger Personen am Test teilgenommen haben, um so mehr wird der Test von verschiedenen Störungen, „Geräuschen“ und verschiedenen Nebenfaktoren beeinflusst. Ein Experte kann drei ihm bekannte intuitiv-logische Extravertierte (Erfinder) mit drei intuitive ethischen Extravertierten (Psychologen) vergleichen und dabei finden, dass die drei Erfinder graue Augen haben und die drei Psychologen braunäugig sind. Man könnte darüber lachen, aber im populären und bekannten Buch von Anna Barsova werden die Augen- und Haarfarbe als Merkmale einiger Typen angeführt!

Und bevor wir den Sättigungspunkt erreichen – das heisst, bevor wir für jeden Typ eine statistisch zuverlässige Anzahl von Vertretern erfassen – können ganz beliebige Kombinationen auftreten!

Z.B. können wir uns erinnern, dass im Laufe der beiden ersten Monate nach der „Geburt“ unseres multifaktoriellen Tests drei Menschen, die wir persönlich kannten und zu den logisch-intuitiven Extravertierten (Unternehmer) rechneten, vom Test als ethisch-intuitive Introvertierte (Humanisten) oder ethisch-sensorische Introvertierte (Bewahrer) bestimmt wurden! Um diese Erscheinung zu erläutern, konnte man eine grosse Theorie entwickeln – aber für andere Typen wurde keine derartige Verwirrung zwischen den Dualen oder Halbdualen beobachtet. Darum fuhren wir mit dem Sammeln der statistischen Angaben fort, und sehr bald ordnete der Test selbst, ganz automatisch, diese Leute genau dort ein, wo sie sich befinden sollten – d.h. in der Gruppe von logisch-intuitiven Extravertierten.

Schließlich können wir sagen: die Tests sind überhaupt nicht begrenzt, sondern sehr entwicklungsfähig! Ihre Exaktheit hängt mindestens von zwei wichtigen Werkzeugen ab. Erstens von der Exaktheit der Bestimmung der Bezugsgruppen. Da es bisher zwischen verschiedenen sozionischen Schulen noch Differenzen gibt, hängt diese Voraussetzung direkt davon ab, wie minimal die Meinungsunterschiede zwischen verschiedenen sozionischen Schulen in der Bewertung dieser Bezugsgruppen sind. Und zweitens von der Adäquatheit der Formeln, die dem Test zu Grunde gelegt wurden. Und wenn die Exaktheit dieser beiden Werkzeuge genügend hoch ist, so ist ein Test durchaus im Stande, sich mit den besten Experten zu messen. Und der Hauptvorteil des Tests ist seine Unvoreingenommenheit; die Vertreter von verschiedenen sozionischen Schulen werden daher mittels desselben Tests immer dieselben Ergebnisse bekommen.

Wir hoffen, dass dieser Vortrag Ihnen helfen wird, den Artikel über unseren Test in der 4. Nummer der Zeitschrift „Sozionik, Mentologie und Persönlichkeitspsychologie“ besser zu verstehen. Auf den ersten Blick enthält der Artikel zu viele Formeln, und darum haben wir uns in diesem Vortrag bemüht, Ihnen dasselbe darzustellen, aber mit einfachen und verständlichen Worten.

Wir bedanken uns für Ihre Aufmerksamkeit!